Der Mann am Grund (2018)

Der Mann am Grund (2018)
Žánr
Belletristik für Erwachsene
Nakladatelství
Braumüller

Ein Leichenfund nahe Prag sorgt für Wirbel: Ein für seine sehr speziellen Methoden bekannter Polizist wird, tot in seinem Auto sitzend, auf dem Grund eines Baggersees entdeckt. Die Spuren führen den Prager Hauptkommissar Marián Holina und seinen jungen Kollegen Diviš Mrštík unter anderem zu einem Marihuana-Züchterpärchen, einem renommierten Architekten und der Inhaberin einer Sprachschule. Der Kreis der Verdächtigen wird immer größer, das Zweierteam braucht Verstärkung. Die wird ihm nicht nur in Gestalt der für den eher bedächtigen Holina übereifrigen Kommissarin Lída Šotolová zugeteilt. Auch Holinas Geliebte Sabina, pikanterweise die Ehefrau eines seiner Kollegen, wird als Astrologin zu Rate gezogen und erstellt Horoskope. Als im Laufe der Ermittlungen auch noch mehrere Zeugen, die etwas Licht in den Fall hätten bringen können, auf teils spektakuläre Weise ums Leben kommen, wird klar, dass der Mord mit einer Vergangenheit zusammenhängt, in der gleich mehrere der Verdächtigen etwas zu vertuschen haben.

Braumüller Verlag 2018
übersetzt von Mirko Kraetsch

 

 

Prag war auf der Karte der Spannungsliteratur in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts stets vertreten, meist in Polit-Thrillern, als Schauplatz mörderischer geheimdienstlicher Tätigkeiten. Mit dem Zusammenbruch des „Ostblocks“ änderte sich das – aber jetzt kehrt diese Stadt mit einem Paukenschlag als „Mord-Metropole“ zurück! Prochazkovas Krimi ist in einer sehr angenehmen Sprache verfasst, braucht den Vergleich gerade mit den skandinavischen Highlights nicht zu scheuen, führt einen beim lesen immer wieder auf`s Glatteis, und man ist permanent auf der ermittlungstechnischen Höhe des Kommissars, ja, ihm ab und an voraus. Geschickt werden mehrere Erzählstränge verwoben, die einzelnen Personen haben sich alle mehr oder weniger in der Vergangenheit schuldig gemacht! Oder doch nicht? Dieses Buch ist ein Pageturner im besten Sinne, die Hochspannung hält bis zum Schluß, und ist ein „MUß“ für jeden Krimi-Fan, der Lust auf etwas völlig Neues und anderes hat! Und für Freunde von Fred Vargas und Jean-Christophe Grange….

Matthias Kesper aus der Thalia-Buchhandlung in Paderborn
am 14.02.2019

Auszug aus dem Buch

Der Körper auf dem Obduktionstisch sah postmodern aus. Am Kinn und unter der Nase wuchsen Bartstoppeln. Zapletal hatte keine Muskeln aus dem Fitnessstudio, sondern von Natur aus breite Schultern und ei- nen Stiernacken, einen gestauchten Rumpf und kräftige Beine. Einen kurzen Penis.

„Typisches Nordlicht“, befand Doktor Léblová. Bei ihren Ausführungen waren Anmerkungen und Kommentare nicht wegzudenken, die in andere Fachgebiete als die Pathologie gehörten.

„Haben die Männer im Norden tatsächlich kleinere Gechlechtsorgane?“, fragte Diviš interessiert. „Ich dachte, das ist ein Aberglaube.“

„Nix Aberglaube – Evolutionsbiologie“, erläuterte Doktor Léblová. „Wo es kälter ist, da muss man mehr mit Wärme

sparen. Das gelingt einem Körper mit kürzeren Ausstülpun- gen besser. Die Bewohner kälterer Gegenden – obwohl ich so meine Zweifel hab, dass wir noch dazugehören –, die haben im Durchschnitt auch kleinere Ohren als zum Beispiel Afrikaner.“

Unwillkürlich schauten alle auf Zapletals Ohren. Sie saßen weit oben, waren spitz und hatten fleischige Ohrläppchen.

„Wann ist er gestorben?“, fragte Marián.

„Die Totenstarre und die anderen Prozesse laufen im kalten Wasser mit anderer Geschwindigkeit ab als an der Luft“, gab der Assistent Volavka blasiert zum Besten, der schon mehrere Jahre lang mit Doktor Léblová arbeitete. So, wie er sich wich- tig machte, erinnerte er Marián stark an seinen Cousin Fero, zu dem er von Kindesbeinen an eine komplizierte Beziehung hatte. Mit Fero konnte man sich nur verständigen, indem man ihm in saftigem Ungarisch den Marsch blies. Mit Volavka war das nicht so einfach. Er konnte nicht Ungarisch und war schnell beleidigt. In der Vergangenheit hatte ihn Marián mehrmals gebeten, sich direkt zur Sache zu äußern und nur zu sprechen, wenn er auch was zu sagen hatte. Eine zweifellos vernünftige Forderung, aber zur Ver- besserung ihrer Beziehung hatte sie nicht beigetragen. Marián vermutete, dass sie auch heute nicht auf ihre unverbrüchliche Freundschaft anstoßen würden.

„Hätte der Körper an der frischen Luft gelegen …“ Volavkas Stimme drang jetzt wieder an sein Ohr.

„Hätte, hätte, Fahrradkette“, fiel er ihm ohne Umschweife ins Wort und wandte sich an Doktor Léblová. „Wann ist er gestorben?“

„Zwischen dreiundzwanzig Uhr und Mitternacht“, sagte sie, ohne Mariáns Unverschämtheit im Geringsten zu kommentieren.

„Die Todesursache ist Ertrinken?“ Marián sah Doktor Léblová fest in die Augen, damit es kein Missverständnis gab, von wem er eine Antwort erwartete. Sie nickte.

„Er hatte Wasser in der Lunge. Aber es gibt da noch was Interessantes.“

„Was denn?“, fragte Diviš.

„Das Ertrinken hat ihn vielleicht vor einem anderen Tod bewahrt.”

„Wie meinen Sie das?“

„Wenn er nicht ertrunken wäre, wäre er offensichtlich erstickt“, sagte Doktor Léblová. „Durch innere Ursachen. Die

Wirkung von Cyanwasserstoff. Darauf weist auch die rote Farbe der Todesflecken hin.“

Sie zeigte auf Hüfte und Gesäß des Toten. „Was genau bewirkt Cyanwasserstoff?“ Der Assistent Volavka holte tief Luft, zweifellos um eine erschöpfende Erläuterung abzugeben, aber Doktor Léblová kam ihm zuvor.

„Sie verhindert die Sauerstoffübertragung“, antwortete si kurz

Eine Weile sahen sie schweigend auf den toten Körper. Marián spürte, dass Diviš und er dieselbe Frage auf der Zunge hatten. Er beschloss, seinem jungen Kollegen den Vortritt zu lassen. Aus seiner Lehrererfahrung wusste er, dass man beim Suchen nach den richtigen Fragen und ihrem Formulieren mehr lernte als auf jede andere Weise. Volavka allerdings durchschaute Mariáns pädagogische Absichten nicht.

„Die Frage ist, unter welchen Umständen der Cyanwasserstoff freigesetzt wurde“, warf er ein. „Von der Verbindung aus Cyanwasserstoff und Wasser, der Blausäure, ist notorisch bekannt, dass sie extrem giftig ist. Sie war Hauptbestandteil von ZyklonB.“

„Bestimmt ist sie auch noch in was anderem drin, oder?“, fragte Diviš. Der Assistent pflichtete ihm bei.

„Sie ist auch in Insektiziden und Desinfekionsmitteln enthalten. Aber manchmal entsteht sie auch als Nebenprodukt. Zum Beispiel beim Destillieren von Steinobst. In Alkoholika, die durch unsachgemäße Destillation hergestellt wurden, kann man …“

„Hatte er so ein Destillat im Magen?“, unterbrach ihn Marián ungeduldig.

„Er hat kein Steinobstdestillat getrunken“, sagte Doktor Léblová. „Er muss das Zeug inhaliert haben.“

„Sie meinen, absichtlich? Wie ein Schnüffler? Wissen Sie schon, was in den Zigarettenstummeln war, die am Ufer gefunden worden sind?“

„Eine Analyse haben wir noch nicht.“

„Wann werden wir sie haben?“, fragte Marián.

„Sie arbeiten schon dran.“

„Also können wir in plus minus zwei Jahren mit den Ergebnissen rechnen?“

Doktor Léblová reagierte auf Mariáns Sarkasmus mit einem trockenen Lachen.

„Ich habe die Kollegen darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Ihr Fall ist“, antwortete sie. „Sie haben mir versichert: Wenn das für den Zuchtmeister aus den Vihorlat-Urwäldern ist, dann erledigen sie’s lieber, so schnell es geht.“

„Aus dem Slowakischen Mittelgebirge“, korrigierte Marián sie. „Wir haben keine Bären, aber dafür gedeiht bei uns exzellenter Wein.“

Bewertungen & News

Eine Handvoll Daten

1953 geboren in Olmütz (Tschechoslowakei) 1972 Abitur in Prag kein weiteres Studium aus politischen Gründen möglich (Vater Jan Procházka war einer der intellektuellen Führer des „Prager Frühlings“) 1975 das erste…

Die autobiographischen Erinnerungen in meinen Büchern

Die Kindheitserinnerungen, oder das, was ich für Erinnerungen halte, bilden einen großen Teil meines Schreibprozesses. Einige ganz bewusst, andere unterschwellig. Als ich die Vorbereitungen für meine ersten Geschichten traf, war…

Friedrich-Gerstäcker-Preis für Jugendliteratur an Iva Procházková für „Wir treffen uns, wenn alle weg sind“

In Vorbereitung meiner Rede zum Friedrich-Gerstäcker-Preis für Jugendliteratur, der Iva Procházková für ihren Roman „Wir treffen uns, wenn alle weg sind“ ehrt, habe ich Rat suchend in „Walden“ von Thoreau…