Wir treffen uns, wenn alle weg sind (2007)

Wir treffen uns, wenn alle weg sind (2007)
Žánr
Belletristik für Erwachsene
Nakladatelství
Patmos

Der Hauptheld dieser beunruhigenden Geschichte, die den Atributen und dem Thema nach zum antiutopistischen Genre gehört, ist ein achtzehnjähriger Roma Mojmir Demeter. Er wuchs in einem Prager Kinderheim auf und machte Lehre als Koch. Er und sein Freund Egon haben vor, eine Menge Geld zu verdienen, eine Reise zum Toten Meer zu unternehmen, um die Wiege unserer Zivilisation mit eigenen Augen zu sehen und nach der Rückkehr wollen alle beide ein gutes Restaurant öffnen. Mojmir ist achtzehn. Er verbringt den Sommer in den Bergen bei einer alten Frau, seiner Wahloma, die unheilbar krank ist, will aber nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause sterben. Das Warten auf ihren unvermeidlichen Tod unterbricht plötzlich ein Drama, das die ganze Zivilisation betrifft. Die Pandemie einer mysteriösen Krankheit EBS ähnelt einer Pestepidemie im Mittelalter. Mojmír als einer der wenigen überlebt. Auch Jessica, ein sechzehnjähriges Mädchen, bleibt verschont. Die Beziehung zwischen ihr und Mojmir gleicht einer Beziehung zwischen zwei Schiffbrüchigen auf einer einsamen Insel. Die Welt nach der Pandemie ist nicht mehr die selbe wie früher, da haben andere Gesetze und andere Werte ihre Geltung. Ist die Liebe in so einer Welt überhaupt möglich?

Patmos Verlag 2007
Das Buch wurde mit dem Friedrich-Gerstäcker-Preis 2008 und mit dem Evangelischen Buchpreis 2008 preisgekrönt

 

 

Jeder gute Koch sollte mindestens ein M im Namen haben. Das hat Herr Matula gesagt und alles, was Herr Matula gesagt hat, bewahrheitet sich früher oder später.

„Wie heißt du?“, hat er gefragt, als ich vor drei Jahren zu ihm kam und mich um eine Lehrstelle bewerben wollte.
„Mojmir Demeter“, sagte ich.
Ich sagte es leise und undeutlich, aber das nützte nichts.

„Zigeuner?“, fragte Herr Matula, laut und vernehmlich. Zwei Mädchen, die gerade Kartoffeln schälten, drehten sich um und glotzten mich an – als ob ich laut gefurzt oder etwas sehr Unanständiges gesagt hätte.

„Dreimal dürfen Sie raten“, antwortete ich. Herr Matula schnitt die Zwiebel fertig, die er gerade in der Hand hielt, schob sie vom Brett in die Pfanne und schaute mich an.

„Zigeuner, schwarz wie Kinderdreck“, grinste er. Normalerweise haue ich den Leuten dafür eine rein. Herrn Matula konnte ich keine reinhauen, weil er einen Meter neunzig groß war und bestimmt einen Zentner wog. Ich drehte mich um und ging zur Tür. Als ich fast draußen war, traf mich etwas am Kopf. Es war eine Kartoffel. Roh, hart und nass. Ich dachte zuerst, eines der Mädchen hätte sie geworfen, aber dann sah ich, wie Herr Matula sich die Hände an der Schürze abwischte.

„Spiel nicht gleich die beleidigte Leberwurst. Hab ich etwa gesagt, dass ich Zigeuner nicht nehme?“

Ich ging zurück. Er grinste wieder und ich merkte, dass er es nicht böse meinte und dass ich die Stelle bekommen würde. Trotzdem fand ich, es wäre besser, gleich am Anfang ein paar Sachen klarzustellen.

„Hören Sie“, sagte ich, „ich bin Rom, genau wie mein Vater, den ich, nebenbei, nie gesehen habe, und wie meine Mutter, die mich ins Heim steckte, als ich drei war. Ich glaube nicht, dass es was Besonderes ist, Zigeuner zu sein, aber Weißer zu sein ist auch nicht besser. Ich sehe vielleicht dreckig aus, aber ich bin sauberer als die Gadžos, mit denen ich sonntags Fußball spiele. Einige von denen waschen sich nicht mal die Hände, wenn sie vom Klo kommen. Und nach dem Spiel duschen sie nicht. Sie quetschen sich so wie sie sind in die Straßenbahn. Und wenn Sie denken, ich wäre irgendein Depp aus der Sonderschule, zeige ich Ihnen mein Zeugnis. Ich könnte nämlich auch studieren gehen oder mir eine Krawatte umbinden und in der Stadtverwaltung oder im Finanzamt sitzen. Ich will aber Koch sein, weil es mir schon immer Spaß gemacht hat zu kochen. Also, wenn Sie mich nehmen, gut, aber wenn Sie mich nur schräg angucken wollen, dann sagen Sie´s gleich und ich gehe woanders hin. Keine Angst, ich zeige Sie auch nicht wegen Rassismus an.“

Die Mädels kicherten, aber Herr Matula hatte mir die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Als ich fertig war, reichte er mir sein Messer.
„Wenn du jetzt genug gequatscht hast, dann sieh zu, dass du diese Zwiebeln schneidest – aber ganz fein.“

Auf dem Tisch lagen drei riesige weiße Zwiebeln. Ich mag weiße Zwiebeln, sie sind feiner im Geschmack als die gelben und saftiger als die roten. Beim Schneiden brennen sie mehr. Ich legte los. Herr Matula schaute mir auf die Finger und sagte immer wieder: „Ganz fein, habe ich gesagt! Noch feiner, es ist für Tatarbeefsteak! Schneid´s noch mal!“

Das Messer war ziemlich scharf und ich behandelte die Zwiebeln damit wie ein Massenmörder, aber Herrn Matula war das nicht genug. Ich musste die kleinen Stückchen noch mal und noch mal schneiden. Das machte mich echt fertig. Meine Augen tränten, meine Nase lief und ich musste mich andauernd schnäuzen. Endlich waren alle Zwiebelteilchen hauchfein geschnitten und Herr Matula schnurrte vor Zufriedenheit.

„Du bist aufgenommen“, verkündete er. „Nur dass du’s weißt, ich nehme dich hauptsächlich deswegen, weil Mojmir Demeter ein perfekter Name für einen Koch ist. Ich heiße Jaromir Matula. Man sagt, ich wäre sehr gut, aber ich weiß, dass mir noch ein M fehlt. Du hast drei, du könntest ein Spitzenkoch werden – natürlich nur wenn du dich anstrengst. Und noch etwas. Es gibt eine Bedingung, das Wichtigste überhaupt. Nur wenn du die erfüllst, hast du eine Chance, Meisterkoch zu werden.“

„Welche Bedingung?“, fragte ich und erwartete etwas in der Art, dass ein guter Koch hochentwickelte Geschmackszellen haben müsste oder so. Aber Herr Matulas Antwort überraschte mich.

„Ein guter Koch muss Freunde haben“, sagte er. „Bereite jedes Gericht so zu, als würdest du es nachher mit deinen Freunden essen und glücklich dabei sein. Wenn dir das gelingt, wirst du ein Meister. Klar?“

„Klar“, habe ich gesagt, weil es klar war

 

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